Mitglieder verlassen das

Schiff auf der Landseite

Portrait der HBV-Betriebsgruppe Allianz-Zweigniederlassung Hamburg

Das Thermometer, das vor drei Jahren im HBV-Schaukasten vor der Kantine hing, hatte nichts mit Ternperaturen zu tun. Seine Anzeige konnten nur Eingeweihte lesen: Die Mitglieder der HBV-Betriebsgruppe, die sich über den Erfolgsstand ihrer Mitgliederwerbung informieren wollten. 30 Neue war das Ziel, 40 sind es dann geworden.

Die 20 bis 25 Aktiven setzen auf persönliche Gespräche mit den 1 600 Kolleginnen und Kollegen. In fast jeder größeren Abteilung gibt es zwei HBV-Ansprechpersonen, »Sympathieträger, die von ihrem Umfeld akzeptiert werden, die Gewerkschaft repräsentieren. Eine Art Vertrauensleute«, erklärt Jens Schulzki, der die Betriebsgruppe nach jahrelangem Schlaf 1995 wiederbelebt hat. Sie wollten damals Strukturen schaffen. Und sie haben es geschafft.

Strategisch geplant wird auf den regelmäßigen monatlichen Sitzungen oder auch während der zweitägigen Wochenendklausur, zu der sie sich jährlich gemeinsam mit dem HBV-Betreuungssekretär treffen - selbstverständlich in ihrer Freizeit. Nicht selten sitzt er auch noch abends mit Unorganisierten beim Bier, »um sie zu überzeugen«. Die Themen, mit denen sie auf die Belegschaft zugehen: dicht am Unternehmen, an der Branche, an der eigenen Situation. Nichts Abgehobenes.

»Papier«, meint Schulzki, »bewirkt nichts.« Deswegen ist die Betriebsgruppenzeitung - die neben dem Info des HBV-dominierten Betriebsrats existierte - eingeschlafen. Ein Beispiel: »im Vorfeld unseres ersten Warnstreiks in diesem Jahr haben wir Interessierte mit Anschreiben auf dem Laufenden gehalten. Die Reaktion war gleich null. Erst als wir sie direkt angesprochen haben, konnten wir sie aktivieren.« Auch Unorganisierte zeigen sich solidarisch. »Schließlich sehen sie, dass bei uns etwas läuft. Und wir haben sie auch schon oft auf die Mitgliedschaft angesprochen. Das schönste Erlebnis, das ich hatte« - Schulzki lacht: »ich habe Kollegen aus einer schlecht organisierten Abteilung zu ihrer Beförderung gratuliert - und die entschuldigten sich gleich von sich aus für ihre Nicht-Mitgliedschaft. Das zeigt doch: Eigentlich ist der Sinn hier allen bewusst.«

Die Betriebsgruppe beschäftigt sich jeweils mit einem Schwerpunktthema. Kürzlich etwa hatten sie einen SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem Ausschuss für Arbeit und Soziales zum Thema Scheinselbstständigkeit und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse da. Zudem fließen immer Infos aus dem Betriebsrat und aus den Abteilungen zurück an die Betriebsratsmitglieder. Sie stellen die Hälfte der Gruppe. Zwei der drei Vorständler haben sich bewusst gegen eine BR-Kandidatur entschieden. »Die Anbindung der Gruppe ist wichtig«, meint Schulzki. »Aber es muss auch eine Opposition geben, die sich nicht nur am Machbaren orientiert, sondern auch gewerkschaftliche Positionen einbringt.«

Erschreckt haben sie sich, als sie sich mit der eigenen Altersstruktur beschäftigt haben: »Das Mittelfeld war gut vetreten, aber die jüngeren ... « Seitdem gibt es unter weitgehender Federführung der wenigen aktiven jungen jährlich Begrüßungsaktionen mit selbstgebackenem Kuchen für die neuen Auszubildenden. Ein Drittel nimmt die Einladung an. »Aber nur wenige werden dann Mitglied«, meint Schulzki bedauernd. »Und das Ärgerlichste: Die Aktiven sind eben auch mobil, verlassen die Firma wieder.« Seit dem letzten Jahr beteiligt sich die Betriebsgruppe an Berufsschulaktionen, stellen mit hauptamtlicher Unterstützung die Gewerkschaft im Unterricht vor. »Das sind richtig lebendige Diskussionen.« Übrigens: Freizeit verbringt die Betriebsgruppe auch miteinander. Einmal im Monat trifft sie sich zum Stammtisch. Und zweimal hat sie Barkassen-Fahrten organisiert - mitfahren konnten auch Kolleginnen und Kollegen, die erst mit einer HBV-Mitgliedschaft liebäugelten. »Denen habe ich dann am Ende der Fahrt gesagt«, Schulzki lacht wieder: »Mitglieder steigen an der Landseite aus - Unorganisierte auf der anderen Seite.«

Quelle: Forum der Gewerkschaft Handel Banken und Versicherungen Ausgabe Sep. 1999

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